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Zeitenwende in der Finanzpolitik: Deutschland setzt auf Schuldenfinanzierung für Rüstung und Infrastruktur

Bund und Länder öffnen neues Schuldenfenster – Verteidigung und Infrastruktur künftig außerhalb der Schuldenbremse.

Union und SPD haben sich auf ein milliardenschweres Investitionspaket geeinigt, das die Schuldenbremse für Rüstungsausgaben und Infrastruktur faktisch außer Kraft setzt. CDU-Fraktionschef Friedrich Merz zeigte sich „mit dem Ergebnis sehr zufrieden“, SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil nannte das Paket einen „kraftvollen Anschub“ für Deutschland. Die Grünen erreichten, dass 100 Milliarden Euro ausdrücklich für Klimaschutz und Transformation reserviert werden. Union und SPD begründeten den Schritt mit der „veränderten außenpolitischen Lage“: Nach Monaten unsicherer Weltlage sei ein dauerhafter Ausbau der Verteidigungsfähigkeit nötig. Zugleich verweisen sie auf Deutschlands Investitionslücke bei Straßen, Schulen und Netzen.

Das Gesetz beinhaltet dass Verteidigungsausgaben über 1% des BIP künftig nicht mehr der Schuldenbremse unterliegen. Deutschland könnte damit unbegrenzt in Rüstung investieren, ohne diese Kosten gegenrechnen zu müssen. Parallel wird ein „Sondervermögen Infrastruktur“ von 500 Milliarden Euro eingerichtet, das über zwölf Jahre abgearbeitet werden soll. 100 Milliarden Euro stehen den Ländern und Kommunen für Verkehr, Energie- und Breitbandausbau, Bildungseinrichtungen etc. zur Verfügung. Weitere 100 Milliarden werden fest für Klimaschutz und Energiewende eingeplant. Der verbleibende Teil fließt in sonstige Infrastrukturprojekte. Die Bundesregierung betont, dass es sich um zusätzliche Ausgaben handeln muss – bereits vorgesehene Maßnahmen sollen nicht ins Sondervermögen verschoben werden. Schließlich dürfen die Bundesländer künftig bis zu 0,35 Prozent ihres BIP pro Jahr zusätzlich schuldenfinanzieren.

Wirtschaftsverbände und Ökonomen zeigten sich zurückhaltend. DIHK-Präsident Peter Adrian warnte, „Schulden allein lösen keine Probleme“ und forderte gleichzeitig Deregulierung, Entlastungen und Reformen für mehr Wachstum. Der IW-Direktor Michael Hüther hob hervor, dass Staatsinvestitionen in Infrastruktur und Verteidigung die künftige Wirtschaftsleistung erhöhen könnten. BDA-Chef Steffen Kampeter mahnte, ohne Bürokratieabbau und Fachkräfteoffensive blieben die Impulse begrenzt. Arbeitgeberverbände forderten ein Wachstumskonzept, niedrigere Lohnnebenkosten und schnellere Planungsprozesse. FDP und AfD kritisierten die Neuverschuldung und plädierten für Ausgabenkürzungen statt neuer Schulden. SPD-Fraktionschef Klingbeil bezeichnete das Paket als „größtes Infrastrukturprogramm seit jeher“. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge begrüßte besonders die Klimakomponente: „Diese 100 Milliarden Euro werden an der Stelle einen Unterschied machen.“

Die Ankündigung wirkte sich unmittelbar auf den Finanzmarkt aus: Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen zog binnen Tagen um etwa 0,2 Prozentpunkte an. Analyst Arthur Brunner erläutert, dass Investoren wegen des „Riesenschuldenbergs“ höhere Zinsen verlangen, auch wenn Deutschland weiterhin als sicherer Schuldner gilt. Der Spread zu US-Anleihen bleibt deutlich – US-Papiere bieten noch rund 1,5 Prozentpunkte mehr. Scope-Analyst Sievert rechnet damit, dass die Bonität zunächst gesichert bleibt: Deutschlands Schuldenquote könnte bis 2029 auf rund 72 Prozent steigen. S&P und Fitch bestätigten Deutschlands AAA-Rating, betonten jedoch die Notwendigkeit von Rückführungsplänen und wachstumsfördernden Reformen.

Ökonomisch wird das Paket als Kurzfristimpuls mit langfristig moderater Wirkung eingeschätzt. Eine Studie der Ökonomen Michelsen und Fichtner zeigt, dass das Sondervermögen das Bruttoinlandsprodukt ankurbeln kann, je nachdem, wie schnell es ausgegeben wird. Viele Ökonomen halten Inflationsrisiken derzeit für begrenzt. Bundesbankpräsident Nagel erklärte, die Inflation bleibe auf dem Rückzug; in Deutschland sei spätestens 2026 wieder das Zwei-Prozent-Ziel erreichbar. Dennoch warnen Zentralbanker, dass die massive Ausweitung der Ausgaben, vor allem im Rüstungsbereich, zukünftig Preisdruck erzeugen könnte. Die Europäische Zentralbank hat signalisiert, im Zweifel die Zinsen weiter anzuheben, sollte die Fiskalpolitik inflationstreibend wirken.

Mit dem Beschluss wird die Schuldenbremse grundlegend modifiziert. ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann nennt die Lockerung zwar „ein wichtiges Signal des Beistands an die Ukraine“, hält sie aber für überzogen: Die vorgesehene dauerhafte Entkopplung großer Rüstungsausgaben entziehe der Regel „ihre Grundlage“. Mit Infrastrukturfonds und neuen Länderschulden entstehe ein Schuldenfenster von rund vier Prozent des BIP – je nach Konjunkturlage. Heinemann warnt, so könnte die Schuldenquote schon 2034 die 100-Prozent-Marke überschreiten. Auch andere Ökonomen rechnen mit einer Schuldenquote um 90 Prozent bis Mitte der 2030er Jahre. Dies stellt Generationengerechtigkeit und Haushaltsdisziplin vor neue Herausforderungen. Zwar bekräftigen Finanzminister und Koalition, die Schuldenbremse bleibe erhalten und die Sonderregeln kämen nur für klar definierte Investitionszwecke zum Tragen. Eine Expertenkommission soll bis Ende 2025 ein überarbeitetes Regelwerk erarbeiten.

Deutschland steht mit seinen Plänen nicht allein. Mehrere NATO-Partner stocken ihre Rüstungshaushalte auf; in Europa ebnet die EU-Kommission mit dem „Re-Arm Europe“-Paket den Weg dafür, dass Rüstungsausgaben nicht auf die Maastricht-Staatsdefizitquote angerechnet werden. Analysten beobachten, dass auch in anderen Industrieländern mit Aufrüstungsdrang öffentliche Investitionen künftig leichter schuldenfinanziert werden könnten. Trotz der Expansionsankündigung bleiben Deutschland-Anleihen im internationalen Vergleich gefragt. Insgesamt signalisiert die Einigung eine Abkehr von althergebrachten Haushaltstraditionen – Deutschland nimmt bewusst mehr Schulden auf, um handlungsfähig zu bleiben.

Ein Beitrag von Julian Schumacher.

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